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Ausschreibungen nach HHVG in der Praxis

oder: das Gegenteil von gut ist gut gemeint
Fragen zu Vergabeverfahren im Bereich der Hilfsmittelversorgung sind zwar sehr weitgehend bereits durchdekliniert, gehören aber weiterhin zu den in der Praxis kontrovers diskutierten Themen. Da man seit Wegfall der Zulassung und Einführung von der Vertragslösung im Jahre 2007 zunehmend den Eindruck gewinnen musste, dass der Preis das entscheidende Kriterium auf Kostenträgerseite ist, versuchte der Gesetzgeber im Jahr 2017 mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) gegenzusteuern. Damit sollte das Schwergewicht der Vergabeentscheidung wieder hin zu qualitativen Aspekten der Versorgung verschoben werden. Diesem Ziel sollten insbesondere folgende gesetzliche Regelungen in § 127 SGB V dienen:

„Soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist, können die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften im Wege der Ausschreibung Verträge mit Leistungserbringern oder zu diesem Zweck gebildeten Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Lieferung einer bestimmten Menge von Hilfsmitteln, die Durchführung einer bestimmten Anzahl von Versorgungen oder die Versorgung für einen bestimmten Zeitraum schließen.“

„Für Hilfsmittel, die für einen bestimmten Versicherten individuell angefertigt werden, oder Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil sind Ausschreibungen nicht zweckmäßig.“

„Die Leistungsbeschreibung oder die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass qualitative Aspekte angemessen berücksichtigt sind; soweit diese qualitativen Anforderungen der Liefer- oder Dienstleistungen nicht bereits in der Leistungsbeschreibung festgelegt sind, darf die Gewichtung der Zuschlagskriterien, die nicht den Preis oder die Kosten betreffen, 50 Prozent nicht unterschreiten.“

Erste Erfahrungen mit Ausschreibungen im Jahre 2017 zeigen, dass diese Regelungen den Erwartungen der Branche wohl nicht gerecht werden. Für die Frage der Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen geschah dies mit Ansage.

Denn bereits vor Inkrafttreten des HHVG legte sich das im Vergaberecht schwergewichtige OLG Düsseldorf (VII-Verg 26/16) bereits wie folgt fest:

„Zweckmäßigkeitsüberlegungen haben bei der Frage einer Ausschreibung von Hilfsmittelbeschaffungen durch gesetzliche Krankenkassen jedenfalls im sog. Oberschwellenwertbereich demnach zu unterbleiben. § 127 Abs. 1 SGB V ist nach den Prinzipien einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, soweit er die Beschaffung von Hilfsmitteln und diesbezüglichen Beratungsleistungen von Zweckmäßigkeitsüberlegungen, welche die gesetzlichen Krankenkassen zuvor anzustellen haben, abhängig macht.“

Das Oberlandesgericht räumt den in § 127 SGB V geregelten sozialrechtlichen Fragen gegenüber vergaberechtlichen Belangen damit explizit keine entscheidende Bedeutung ein.

Aber auch die Gewichtung der Wertungskriterien im Rahmen einer Ausschreibung zeigt aktuell, dass sich an der bisherigen Problemlage auch nach dem Inkrafttreten des HHVG nichts geändert hat oder ändern wird. Exemplarisch ist dafür die noch nicht abgeschlossene Ausschreibung der Barmer hinsichtlich der Versorgung mit Hilfsmitteln zur Atemwegstherapie (Produktgruppe 14 des HMV: CPAP u.A.). Die Gewichtung der Wertungskriterien sieht dort zu 90 % eine Berücksichtigung des Preises und lediglich 10% qualitativer Aspekte der Versorgung (telefonische Erreichbarkeit, Geräte nicht älter als vier Jahre) vor. Nicht nur auf den ersten Blick steht das in Widerspruch zur seit April 2017 geltenden Neufassung des § 127 Abs. 1 und 1b SGB V.

Der Gesetzgeber muss sich insoweit aber nicht wundern. Denn er selbst hat die Tür dafür sperrangelweit offen gelassen, nämlich mit folgenden Halbsatz:

„soweit diese qualitativen Anforderungen der Liefer- oder Dienstleistungen nicht bereits in der Leistungsbeschreibung festgelegt sind.“

Es nimmt nun nicht Wunder, dass die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen das auch aufgreifen. So führt die Vergabekammer Bund in der jüngst veröffentlichten Entscheidung vom 7. Dezember 2017 (VK 1 - 131/17) folgendes aus:

„Da die Ag. den Zuschlag nicht nur anhand des Preises, sondern (mit einem Gewicht von 10%) auch anhand qualitativer Anforderungen erteilen will, gebietet auch das aktuelle Sozialrecht keinen anderen Befund. Zwar darf gemäß § 127 Abs. 1b S. 2 SGB V der Preis nicht das alleinige Zuschlagskriterium sein. Jedoch darf dieser zu mehr als 50% in die Wertung einfließen, wenn die „qualitativen Anforderungen der Liefer- oder Dienstleistungen (...) bereits in der Leistungsbeschreibung festgelegt sind“ (vgl. § 127 Abs. 1b S. 4 SGB V, vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Entwurf des HHVG, BT-Drs. 18/11205, S. 68).

So verhält es sich auch hier. Denn ihre Qualitätsanforderungen hat die Ag., aus ihrer Sicht hinreichend, bereits in der Leistungsbeschreibung bzw. dem ausgeschriebenen Vertrag festgelegt, indem sie u.a. auf das Hilfsmittelverzeichnis verwiesen hat. Dies wird wegen der entsprechend detaillierten Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses nicht nur § 127 Abs. 4 S. 1 GWB gerecht, sondern reicht ebenfalls nach der Auffassung des Sozialgesetzgebers aus, um die von der Ast. zitierte mit dem HHVG angestrebte Qualitätsverbesserung im Hilfsmittelbereich zu gewährleisten. Denn mehr als die Einhaltung der qualitativen Mindestanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses schreibt das Sozialrecht auch nach der Novellierung durch das HHVG nicht vor. § 127 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach den Verträgen zwischen Krankenkasse und Leistungserbringern „mindestens“ die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten Qualitätsanforderungen zugrunde zu legen sind, wurde nämlich durch das HHVG nicht verändert (vgl. auch § 33 Abs. 1 S. 2 SGB V). Dies wird dem Zweck des Hilfsmittelverzeichnisses gerecht, alle Qualitätsanforderungen festzulegen, die zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich sind (s. § 139 Abs. 2 S. 1 SGB V).“

Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss wurde vom Bieter zwar eingelegt (Verg 59/17). Ausgehend von der bisherigen Entscheidungspraxis steht tendenziell zu erwarten, dass das OLG Düsseldorf dieser Ansicht ebenfalls folgen wird.

Bezeichnend für die Wirkungslosigkeit der Neuregelung ist insoweit die Aussage der Vergabekammer zu den qualitativen (Mindest-)Vorgaben über die Inhalte des Hilfsmittelverzeichnisses.

Allerdings hatte der Gesetzgeber das hinsichtlich der Gewichtung von Preis/Qualität gerade nicht als hinreichend erachtet und dies zudem in der Gesetzesbegründung festgehalten (BT-Drs. 18/10186, S. 33):

„Absatz 1b bestimmt, dass künftig bei der Zuschlagserteilung nicht nur der Preis, sondern auch qualitative Kriterien über die Mindestanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses hinaus zu berücksichtigen sind.“

Nach Lage der Dinge wird dem Gesetzgeber damit durch die zuständigen Gerichte - nicht zum ersten Mal – nachträglich gesagt, was er gemeint haben soll. Oder aber die gerichtliche Spruchpraxis geht an der gesetzgeberischen Intention vorbei. So oder so ist und bleibt das jedoch eine unbefriedigende Situation - sowohl für Versicherte als auch die involvierten Leistungserbringer.

15. Januar 2018
Autor: Torsten Bornemann